Der Regenwald

Rund um den Globus erstrecken sich in einem breiten Gürtel am Äquator die bedeutendsten Urwälder der Erde - die Tropischen Regenwälder. Wie ein grüner Ozean bedeckt der Regenwald in Südamerika eine durchgehende Fläche von 1.000 km nördlich bis 1.000 km südlich des Äquators. Diesem folgend setzt er sich in Afrika fort bis zum Indischen Ozean. Das dritte große Regenwaldgebiet umfaßt in Südostasien Teile Indiens, ferner Burma, Thailand, die malaysisch-indonesischen Inseln und Neuguinea. Etwa 13 % der Erdoberfläche waren noch vor tausend Jahren mit Tropischem Regenwald bedeckt. Vor allem in den letzten 40 Jahren hat die Zerstörung so zugenommen, daß heute nur weniger als die Hälfte davon noch übrig ist, knapp 7 Millionen qkm, und jedes Jahr werden es 200.000 qkm weniger.
Was so im Handumdrehen vernichtet wird, hat unvorstellbar lange gebraucht, um zu entstehen. Manche der Wälder gibt es schon seit 100 Millionen Jahren. In dieser Zeit hat sich der Tropenwald zu einem hochkomplexen Ökosystem entwickelt. Ein Ökosystem, das auch für uns in Europa überlebenswichtig sein kann!!!
Im Regenwald gibt es keine Jahreszeiten. Das ganze Jahr über ist es etwa 28° C heiß. Das wichtigste im Regenwald ist - wie der Name schon sagt - der Regen. In äquatornahen Gebieten regnet es praktisch jeden Tag, bis zu 10.000 qmm pro Jahr (fünfmal soviel wie bei uns). In den Saisonregenwäldern gibt es zwischendurch auch trockenere Monate. In höheren Lagen treten Bergregenwälder und Nebelwälder auf.
Der Regenwald bietet alles, was für ein unbegrenztes Pflanzenwachstum nötig ist: Kohlendioxid (aus der Luft), Wasser, Wärme und Licht. Daraus entsteht eine unvorstellbare Pflanzenpracht. Obwohl die Regenwälder nur ein Viertel des gesamten Waldbestandes der Erde ausmachen, umfassen sie knapp vier Fünftel der Landvegetation. Das Gesamtgewicht der Pflanzen auf einem Hektar (100 x 100 m) kann über 1.000 Tonnen betragen.
Der Regenwald schafft sich sein eigenes Klima. Nur ein Viertel des Regenwassers fließt über die Flüsse ab. Drei Viertel werden wieder in die Luft abgegeben, wo daraus neue Regenwolken entstehen. Wo der Wald vernichtet wurde, hat auch der Regen stark nachgelassen. Die Flüsse, die die Regenwälder durchziehen, transportieren dennoch riesige Wassermengen. Allen voran der Amazonas in Südamerika, der größte Strom der Welt. Zirka ein Fünftel des gesamten Süßwassers der Erde fließt im Amazonas und seinen Nebenflüssen dem Atlantik entgegen - 750 Millionen qm pro Stunde.
Der Regenwald macht nicht nur seinen eigenen Regen, sein Verdunstungszyklus schafft auch die Regenwolken für weit entfernte Gebiete. So hat die Zerstörung der Wälder Westafrikas einen starken Rückgang der Regenfälle weiter im Norden verursacht. Dies ist einer der Gründe dafür, dass sich die Sahara jedes Jahr 20 km weiter nach Süden vorschiebt. Als Steuerer der globalen Windkreisläufe wirkt der Regenwald sogar direkt auf unser Wetter in Europa ein.
In den Pflanzenmassen der Wälder sind große Mengen Kohlenstoff gebunden. Wird das Holz verbrannt, entweicht dieser in Form von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Dadurch wird die Wärmeabstrahlung ins Weltall verhindert, der sogenannte "Treibhauseffekt" entsteht. Zu rund 25% ist das Abbrennen der Tropischen Regenwälder für diesen verantwortlich.

Das Rätsel der Waldböden

Wird im Amazonaswald die dünne Blätterschicht am Boden beiseite gescharrt, so kommt ein wenig schwarzer Humus zum Vorschein, der nur ein paar Zentimeter tief reicht. Gleich darunter ist eine bleiche, gelbliche oder rötliche Erde zu sehen, die von Wurzeln und Pilzfäden durchzogen ist. Wäre nicht alles so feucht und modrig, entstünde der Eindruck, der Boden bestehe aus Sand.
Was ist das für ein Boden, der so karg aussieht und doch die gewaltigsten Wälder trägt?
Wissenschafliche Untersuchungen kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis:
Viele Regenwaldböden sind nahezu unfruchtbar. Auf sehr großen Flächen finden sich praktisch mineralstofffreie Sand- und Kaolonitböden. Etwa 40% der asiatischen, 70% der afrikanischen und 90% der südamerikanischen Regenwälder stehen auf eigentlich unfruchtbarem Grund. Seit Jahrmillionen durchlaufen die tropischen Böden eine starke Verwitterung. Die Mineralien wurden ausgewaschen, die Böden ausgelaugt und zersetzt. In Amazonien ist dieser Vorgang am weitesten fortgeschritten.

Wie aber ist es möglich, daß auf so schlechten Böden das üppigste und artenreichste Ökosystem der Erde entstanden ist?

Fällt im Tropischen Regenwald ein abgestorbenes Blatt oder ein Ast auf den Boden, so wird dies sofort von sogenannten Mykorrhiza-Pilzen befallen, die aus ihm alle Nährstoffe herausfiltern. Die Pilze hängen an Baumwurzeln und geben die gewonnen Nährstoffe an die Bäume weiter. Von dem Blatt selbst bleibt kein Humus zurück. So befinden sich fast alle Nährstoffe ständig in den lebenden Pflanzen, nur eine winzige Menge ist in der Bodenschicht enthalten. Die Verluste, die trotz allem auftreten, werden durch den Regen ausgeglichen. Messungen an den Bächen, die den Wald verlassen, ergaben, daß ihr Wasser unglaublich rein ist, fast so rein wie destilliertes Wasser. Die unzähligen Pflanzenarten, die der Wald hervorgebracht hat, helfen alle mit, möglichst viele Mineralstoffe (wie Calcium, Calium, Phosphor ...) aus dem Regen zu filtern. Nichts darf dabei verloren gehen.
Die Vielzahl der Arten ist also die Antwort der Natur auf die Knappheit der Ressourcen. Nicht trotz der Nährstoffarmut gibt es im Regenwald so viele Arten, sondern gerade wegen ihr!!!
Damit wurde auch der Grund gefunden, warum die Regenwälder so empfindlich sind und warum sie sich meist weder durch Viehweiden noch durch Plantagen ersetzen lassen. Die Asche der verbrannten Bäume düngt nach Brandrodungen den Boden zwar kurzzeitig, doch der Regen spült sie bald davon, mitsamt der kümmerlichen Humusschicht. Zurück bleibt ein unfruchtbares Brachland. Wenn erst einmal alle Nährstoffe verschwunden sind, bleiben auch Wiederaufforstungen oft zwecklos.

Es ist kein Problem, im Regenwald spazieren zu gehen. Am Boden ist es zu dunkel, als dass hier noch viel wachsen würde. Einige junge Bäume warten im Dämmerlicht darauf, dass einer der alten Bäume umstürzt. Innerhalb kürzester Zeit schießt er dann in die Höhe, um als erster den Platz an der Sonne zu erreichen. Schafft er es nicht, stirbt er ab und hat umsonst viele Jahre hindurch bei 100 % Luftfeuchtigkeit und 1 % des auf die Kronen einstrahlenden Lichtes gewartet.
Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, haben sich die Würgerbäume etwas besonderes einfallen lassen: sie wachsen von oben nach unten. Ihre Samen keimen auf den Ästen großer Bäume. Von dort aus wachsen die langen Wurzeln am Stamm entlang abwärts, bis sie im Boden Halt gefunden haben. Der Wirtsbaum wird nun immer enger umschlossen - erwürgt -, bis er abstirbt.
Ein neuer Baum ist entstanden, der innen natürlich völlig hohl ist.
Auch die zahlreichen Lianen wachsen auf diese Weise von oben nach unten, töten aber nicht ihren Wirtsbaum. Sie benötigen ihn als Stütze. Sogar viele Blumen und Farne wachsen auf großen Bäumen. Hier haben sie genügend Licht und das Regenwasser enthält viele wichtige Nährstoffe, die im Boden fehlen. Die Bromelien z.B. entwickeln einen großen Trichter aus ihren Blättern, in dem sie Regen sammeln. Daraus filtern sie die Mineralien. Auch aufgefangener Staub und Blütenpollen werden zersetzt, ebenso die Exkremente von Insekten und anderen Kleintieren, z.B. von Fröschen.

Als im 19. Jahrhundert Naturforscher wie Charles Darwin oder Alexander von Humboldt die Tropenwälder besuchten, staunten sie über die ungeheure Artenvielfalt, die hier herrschte. Sie berichteten von unglaublicher Formenmannigfaltigkeit bei Schmetterlingen, Vögeln, Käfern und Affen. In der Tat ist der Artenreichtum verblüffend. Während es in ganz Europa nur etwa 50 verschiedene Baumarten gibt, existieren auf Regenwaldflächen von der Größe zweier Fußballfelder oft über 500.
Als in den 80er Jahren WissenschaftlerInnen begannen, mit Hilfe von Kletterausrüstungen und Strickleitern die schwer zugängliche Kronenregion der Regenwälder zu erforschen, öffneten sich nochmals neue Dimensionen. In einer einzigen Baumkrone fanden sie über 600 verschiedene Käferarten. Etwa 150 davon waren ausschließlich auf diese Baumart spezialisiert. Auf einem Hektar Regenwald können vermutlich 20.000 verschiedene Insektenarten vertreten sein. Ungefähr 400 Vogelarten leben in Zentralamazonien auf einem Gebiet von 7 mal 7 km.
Vor allem wegen der Zahl der in den Bäumen lebenden Insekten, aber auch der hoch oben wachsenden Pflanzen, musste der Artenreichtum der Erde ganz neu beurteilt werden. Es gibt wohl nicht nur zwei Millionen Arten auf der Erde, wie WissenschaftlerInnen noch in den 50er Jahren angenommen hatten, sondern 20, 30, vielleicht sogar 40 Millionen! Über 80 % davon bewohnen die Regenwälder. Wenn dieser unermessliche Schatz an genetischer Vielfalt zerstört wird, ist er unwiederbringlich verloren !!!

Was machen die Frösche in den Baumkronen?

Eier legen. Viele Froscharten laichen nicht in den Regenwaldbächen, sondern in den auf den Bäumen wachsenden Bromelien. Das Wasser der Bäche ist nämlich zu rein, es gibt dort keine Nährsalze mehr. Die Frösche ziehen also ihre Kaulquappen in den Wassertrichtern der Bromelien groß. Damit sie hier oben nicht gleich von irgendwelchen Schlangen oder Vögeln gefressen werden, haben es viele "Baumsteiger-Frösche" zu enormer Giftigkeit gebracht. Der nur ca. 32-50mm !!! große/kleine grellgelbe Frosch = Phyllobates Terribilis könnte mit seinem Gift allein etwa 20.000 Labormäuse töten, bzw. 10 Menschen.
Die Giftigkeit von P. terribilis hat ihm den Namen "schrecklicher Giftfrosch" eingebracht. In der Tat gehört diese Art zu den wenigen Pfeilgiftfroscharten, die wirklich von Indianern zum Vergiften ihrer Blasrohrpfeile verwendet wurden und werden. Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass die Giftmenge eines Frosches für das Töten von 20 000 Mäusen, bzw. 10 Menschen ausreichend ist, immer vorausgesetzt, dass das Gift in die Blutbahn des Beuteobjekts gelangt.
Bei den Hautgiften handelt es sich meistens um komplexe Alkaloid-Gemische, von denen das Batrachotoxin eines der bekanntesten ist. Dieses hat eine sehr spezifische Wirkung auf den Natriumkanal in Zellmembranen, denn er wird nach einer Depolarisation nicht mehr geschlossen. Die Folge ist eine Dauererregung, die schließlich zu Herzstillstand und Atemlähmung führen kann. P. terribilis kann bis zu 500 µg von diesem Batrachotoxin speichern, eine gewaltige Menge, verglichen mit nur 0,2 bis 24 µg bei seinen nächsten Verwandten!

Epidatidin - das Schmerzmittel aus einem Pfeilgiftfrosch
Der amerikanische Pharmakologe Dr. John Daly entdeckte 1992, dass eine Komponente des Hautgiftes von Epipedobates tricolor eine schmerzlindernde Wirkung hat. Die Wirkung der Substanz Epibatidin stellte sich als etwa 200 mal stärker heraus, als die von Morphium. Mittlerweile ist das Mittel von der amerikanischen Firma Abbott zur Marktreife entwickelt worden.

Das Artensterben

Die Fülle der Überlebensstrategien im Tropischen Regenwald kennt keine Grenzen. Es gibt hier die größten und die kleinsten Insekten, riesige Schlangen und Lurche, winzige Käfer und große Gorillas. Manche Tiere sind so ausgezeichnet getarnt, dass sie nur an ihren Bewegungen zu erkennen sind. Andere Arten, z.B. Paradiesvögel und manche Schmetterlinge fallen weithin mit ihren stechenden Farbmustern auf.
Stirbt im Regenwald eine Art aus, führt das oft zu einer tödlichen Kettenreaktion, weil viele Arten aufeinander angewiesen sind, wie z.B. die Giftfrösche auf die Bromelien. In Westafrika sind allein etwa 30 Baumarten vom Waldelefanten abhängig. Diese müssen ihre Früchte fressen, damit die Samen frei werden. Seit die Elefanten fast verschwunden sind, wachsen einige Baumarten kaum mehr nach.
Viele Arten leben außerdem auf einem sehr kleinen Gebiet, die Goldkröte in Costa Rica kommt zum Beispiel nur auf einer Fläche von 50 mal 100 Metern vor - sonst nirgends. Da schon über die Hälfte aller Regenwälder zerstört ist, werden wir nie erfahren, wie viele Arten schon endgültig verschwunden sind, und auch nicht, was für welche das waren, wie sie lebten und was sie uns hätten nutzen können.
Die allerwenigsten Tier- und Pflanzenarten des Tropenwaldes sind bislang überhaupt entdeckt. Nur etwa 1% ist wissenschaftlich erforscht. Trotzdem entstammt diesem kleinen Anteil untersuchter Arten bereits ein Viertel unserer rezeptpflichtigen Medikamente.
Bei der Erforschung weiterer Arten könnten also wahrscheinlich noch ungeahnte Heilmittel gegen Krankheiten gefunden werden, die bis jetzt noch nicht oder nur mangelhaft bekämpfbar sind. Auch die Grundlagen vieler Nahrungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel liegen in den Regenwäldern verborgen.

Jeden Tag sterben 120 Arten aus !!!

Im Laufe der Erdgeschichte sind immer wieder Arten verschwunden. In der letzten Eiszeit starb durchschnittlich alle zwei Jahre eine Tier- oder Pflanzenart aus. Heute aber werden vielleicht 40.000 bis 50.000 Arten jährlich ausgerottet. Damit verschwindet die Basis der Evolution, die Quelle allen Lebens auf der Erde.
Ein Viertel aller Arten wird voraussichtlich innerhalb der nächsten 20 Jahre aussterben. Namhafte BiologInnen erklären deshalb, es gehe bei den derzeitigen Zerstörungen "nicht nur um Tod, sondern um das Ende von Geburt". "Die Zukunft der Menschheit", so der Ex-Generalsekretär der Welternährungsorganisation FAO, Edouard Saouma, "könnte davon abhängen, ob es uns gelingt, die biologische Vielfalt zu verteidigen und umweltverträglich zu nutzen."
Vielleicht sollte der Regenwald aber nicht nur in einer Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet werden. Hat dieser Wald, selbst wenn er den Menschen keinerlei direkten Gewinn bringen würde, mit all seiner Vielfalt und Schönheit keine Existenzberechtigung in sich selbst?

Dürfen wir, nur weil wir dazu in der Lage sind, ganze Arten einfach ausrotten???


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    Erst wenn der letzte Baum gefällt,
    der letzte Fisch gefangen und der letzte Fluss vergiftet,
    werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann
    altes indianisches Sprichwort